Willi Bredel: Sieben von Thälmanns Hamburger Genossen

Wir veröffentlichen einige kurze Darstellungen von den Mitstreitern Ernst Thälmanns, die Willi Bredel verfasste. Unter ihnen ist auch Fiete Schulze,  der eine wichtige Rolle beim Hamburger Aufstand 1923 spielte.


Sieben von Thälmanns Hamburger Genossen

August Lüttgens

Als die Hitlerfaschisten in ihrem blutigen Frühling 1933 August Lüttgens verhaftet hatten, riefen sie triumphierend: „Jetzt wird Rache genommen! Lüttgens wird einen Kopf kürzer gemacht!“

August Lüttgens, ein schon älterer Mann, untersetzt, stämmig, mit markantem Gesicht, war ein langjähriger Gewerkschaftsfunktionär und schon in der Vorkriegssozialdemokratie organisiert gewesen. Von Beruf Seemann, hatte er im Kriege, zur kaiserlichen Marine eingezogen, unter den Marinesoldaten revolutionäre Aufklärung betrieben. Er gehörte der Unabhängigen Sozialdemokratie an und trat später in die Kommunistische Partei ein. Beim Kapp-Putsch hatte er mit der Waffe in der Hand gegen die Militaristen gekämpft. Nun war für die Faschisten die Stunde der Rache gekommen.

Sie klagten ihn und drei andere Arbeiter an, am sogenannten „Altonaer Blutsonntag“ auf „friedlich demonstrierende“ SA-Leute geschossen zu haben, und verurteilten sämtliche Angeklagten zum Tode.

Als der Gerichtsvorsitzende das Urteil verkündet hatte, erhob sich August Lüttgens, verbeugte sich tief und sagte ironisch: „Ich danke Ihnen für dies Urteil. Ich betrachte es als die höchste Ehre, deren ein proletarischer Revolutionär aus dem Munde seines Klassenfeindes teilhaftig werden kann.“

Karl Wolff

Den 1. August 1933, den Tag der Hinrichtung August Lüttgens und seiner Genossen Karl Wolff, Bruno Tesch und Walter Möller, begingen die Nazis wie ein Fest. Fünfundsiebzig gefangene Antifaschisten aus dem Konzentrationslager mußten, von mehreren hundert SA-Leuten bewacht, die Hinrichtung beiwohnen. Die Nazis versprachen sich davon eine demoralisierende Wirkung.

Eine SA-Musikkapelle spielte Militärmärsche. Plötzlich brach die Musik ab, und die vier zum Tode durch das Handbeil Verurteilten wurden herangeführt; die Hände hatte man ihnen auf dem Rücken gefesselt. Voran ging erhobenen Hauptes August Lüttgens. Sein Blick streifte abschiednehmend die Gesichter der Genossen.

Auf dem Richtplatz bat der Jungarbeiter Karl Wolff einen Henker, ihm die Handfesseln zu lösen, damit er sich noch einmal frei recken könne.

Kaum waren dem jungen Arbeiter die Fesseln abgenommen, als er an einem SA-Führer heransprang und ihn mit einem wuchtigen Fausthieb zu Boden schlug. Bevor die Henkersknechte ihn packen und zum Richtblock zerren konnten, rief Karl Wolff seinen Genossen zu: „So müßt ihrs machen, Genossen! Rot Front!“

Jonny Dettmer

Der Prozeß gegen den Hamburger Hafenarbeiter Jonny Dettmer im Frühjahr 1934 war derart überstürzt und unvorbereitet angesetzt, daß im Gerichtssaal erst Einzelheiten über Person des Angeklagten geklärt werden mußten. Der Gerichtsvorsitzende war nämlich in dem Glauben, den kommunistischen Bürgerschaftsabgeordneten Dettmann vor sich zu haben.

Jonny Dettmer, ein echter Hamburger, groß, sehnig, blond, blauäugig, mit einem verschmitzten Grientje im gebräunten Seemannsgesicht, betrat in wiegendem Schiffergang den Gerichtssaal. Bei der Eröffnung der Verhandlung erlebten die Richter eine unerwartete Überraschung: der Angeklagte sprach nur plattdeutsch. Der Vorsitzende dieses von den Nazis eingesetzten Sondergerichts verstand aber kein Hamburger Platt. Eine Weile übersetzte einer der Beisitzer die Ausführungen des Angeklagten ins Hochdeutsche.

Dann mußte aber doch die Sitzung unterbrochen und ein Dolmetscher geholt werden.

Der Gerichtsvorsitzende fuhr den Angeklagten ärgerlich an: „Sagen Sie mal, warum haben Sie nicht einmal Deutsch gelernt?“

„Ick snaak hamburgisch. Entschuldigen Se man, dat ick nich franzeusisch kann.“

„Ach was, ich glaube, Sie verstellen sich bloß.“

„Ick glöw, Se komen noch daachter, dat ick überhaupt keen Dütscher bin.“

„Jedenfalls sind Sie doch ein Kommunist, nicht wahr?“

„Dat bün ick! Een Hamborger Kommunist!“

Der Angeklagte bekannte stolz, seit seinem zwanzigsten Lebenjahr Mitglied der Kommunistischen Partei zu sein und auch nach dem Verbot der „Roten Marine“, dieser Selbstschutzorganisation der Seeleute, angehört zu haben. Als der Richter lauernd fragte, ob er etwa auch heute noch Kommunist sei, antwortete Jonny Dettmer: „Wi stellen Se sick dat eegentlich vor? Man is een Kommunist oder man is keen. Ick bin eener, un dor kann komen, wer un wat will. Verstohn Se dat?“

Das Nazigericht verstand dies sogar sehr gut. Es verurteilte den Hafenarbeiter zum Tode.

Am 15. Mai 1934 wurde er hingerichtet.

Edgar Andrè

1935 wurde im Prozeß gegen den Hamburger Arbeiterführer Fiete Schulze auch der inhaftierte kommunistische Bürgerschaftsabgeordnete Edgar Andrè als Zeuge vernommen. Er trug den rechten Arm in der Binde, und sein Gesicht war von noch nicht verheilten Verletzungen entstellt, Gerichtsvorsitzender Dr. Roth fragte: „Warum sehen Sie im Gesicht so, so verwüstet aus? Wieso tragen Sie den Arm in der Binde ?“ „Ich bin zweiundzwanzig mal vernommen worden, Herr Gerichtsvorsitzender“, gab Edgar Andrè zur Antwort.

Roth verfärbte sich; er wußte, er hatte eine Dummheit begangen. Betont gleichmütig fuhr er deshalb fort: „Zeuge, sind Sie mit dem Angeklagten verwandt oder verschwägert?“

Edgar Andrè warf einen langen Blick auf seinen Genossen und Freund Fiete Schulze und erwiderte: „Ich bin mit ihm durch eine gemeinsame Idee verwandt.“

Der Vorsitzende winkte ärgerlich ab. „Hören Sie, das will ich gar nicht wissen. Ich will wissen, ob Sie den Angeklagten kennen und was Sie über ihn wissen.“

Edgar Andrè antwortete: „Ich kenne ihn als einen guten Kämpfer und Kameraden, und ich kann nur Gutes über ihn berichten.“

„Ist das alles?“ schrie, aus der Fassung gebracht, Dr. Roth.

„Ist das wenig?“ fragte ruhig der Zeuge.

„Abführen!“

Von zwei Polizisten wurde Edgar Andrè aus dem Gerichtssaal gezerrt.

Fiete Schulze

Der Hamburger Arbeiter Fiete Schulze hatte unter Thälmanns Leitung im Oktober 1923 auf den Barrikaden gekämpft und war, weil die Hamburger Polizeibehörde ihn steckbrieflich verfolgte, in die Emigration gegangen. Ende der zwanziger Jahre war er nach Hamburg zurückgekehrt und wurde ein führender Funktionär in der Kommunistischen Partei an der Wasserkante.

Als im Frühjahr 1933 den Faschisten die politische Macht zufiel, wurde er verhaftet. Der Nazistaatsanwalt forderte zwei Jahre später vom Gericht die Todesstrafe. Er sagte: „Der Angeklagte ist ein Todfeind des nationalsozialistischen Staates; seine Reden sind gefährlicher als Kugeln.“ Als Beweis schilderte er das Leben und den politischen Kampf dieses proletarischen Revolutionärs.

Fiete Schulze verteidigte sich nicht, er klagte an, rief aus dem Gerichtssaal die deutsche Arbeiterklasse auf, Hitler zu stürzen, um Volk und Nation zu retten.

Die Richter erkannten auf dreifache Todesstrafe. Fiete Schulze erwiderte lakonisch: „Es wird einen Kämpfer weniger geben, aber siegen werden wir trotzdem!“

Kurz vor seinem Tode schickte er einem Kassiber aus dem Gefängnis, darin stand: „Dreimal forderte der Staatsanwalt mein Leben. Ich gehöre zu denen, die nur einmal sterben. Wenn ich aber vier Leben hätte, wahrlich, wenn sie mir drei nähmen, ich setzte das vierte ein, wenn es nur beitrüge zur Rettung meines Volkes.“

Erich Heinz

Im Jahre 1944 wurde von den Hitlerfaschisten der Prozeß gegen die Bästlein-Widerstandgruppe vorbereitet. In vielen deutschen Städten wurden Verhaftungen vorgenommen und Vernehmungen durchgeführt. Auch der Hamburger Werftarbeiter Erich Heinz, der auf der Werft Blohm & Voß beschäftigt war, gehörte zu den verhafteten. Er bestritt nicht, ein Antifaschist zu sein, weigerte sich aber standhaft, die Namen ihm bekannter anderer Antifaschisten zu nennen und andere Verhaftete zu belasten. Die gemeinsten Foltermethoden der Gestapo blieben erfolglos. Da versuchte es Hitlers Statthalter in Hamburg, Karl Kaufmann, den Werftarbeiter zu Angaben und Geständnissen zu bewegen. Er nahm an einer Vernehmung teil, redete salbungsvoll auf den Verhafteten ein und versprach ihm das blaue vom Himmel, sofern er reumütig bekenne und auf die ihm gestellten Fragen wahrheitsgemäß antworte. Erich Heinze fragte den Nazistatthalter, womit er es eigentlich verdient habe, daß man ihn für einen Lumpen halte. Die Frage, ob er wenigstens bereue, gegen den Staat Adolf Hitlers gearbeitet zu haben, verneinte der Werftarbeiter entschieden. Stolz bekannte er sich zu seiner kommunistischen Weltanschauung. Er schleuderte dem vor Wut bleichen Statthalter die Worte ins Gesicht: „Mit dem Nazismus geht es zu Ende! Der Kommunismus siegt!“

Kaufmann erhob sich und rief Gestapobeamten zu: „Soll er zugrunde gehen!“

Am 26. Juli 1944 starb Erich Heinze auf dem Schafott.

Vatti (Erich Hoffmann)

Er wurde Vatti genannt, schon in seiner Jugend, und zwar wegen seiner Hilfsbereitschaft, seiner sorge um jeden Kameraden. Als junger Arbeiter schloß er sich der Kommunistischen Partei an. Sein bester Freund wurde Edgar Andrè. Als der die Leitung des Roten Frontkämpferbundes in Hamburg übernahm, wurde Vatti Leiter des Jungsturms. Wie seine Kameraden hat er sein Leben nicht geschont, um die große Sache der Arbeiterklasse vor Anschlägen und Verbrechen zu schützen.

Die Arbeiter wählten Erich Hoffmann, wie seinen Freund Edgar Andrè, als Abgeordneten in das Hamburger Stadtparlament, die Bürgerschaft. Gleichzeitig trat Erich als Redakteur in die Redaktion der „Hamburger Volkszeitung“ ein und wurde in den letzten Jahren Weimarer Republik wiederholt von den reaktionären Klassenrichtern wegen Lappalien von Pressedelikten ins Gefängnis geworfen.

Als die Nazis in Hamburg die politische Macht an sich rissen, warfen sie Erich Hoffmann ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Hier wurde er zusammen mit Edgar Andrè viehisch mißhandelt. Während sie Edgar Andrè töteten, gelang es es Erich Hoffmann, seinen Mördern zu entkommen. Als einer der ersten eilte er nach Ausbruch des militärisch-faschistischen Putsches gegen die spanische Republik nach Spanien und trat als Freiwilliger in die Reihen der Internationalen Brigaden. Er wurde Panzersoldat und in den erbitterten Kämpfen vor Madrid in seinem Panzerwagen schwer verwundet. Er blieb in Spanien. Mit den letzten antifaschistischen Kämpfern verließ er 1939 das Land und wurde beim Grenzübertritt von französischen Behörden in ein Konzentrationslager gesteckt. Dort wurde er festgehalten, bis die Hitlerwehrmacht nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges Frankreich besiegt hatte und französische Reaktionäre ihn mit vielen anderen antifaschistischen Spanienkämpfern an die Gestapo auslieferten. Erich Hoffmann wurde nach Auschwitz transportiert. Und mußte an diesem Massenvernichtungslager ein grauenvolles Martyrium ertragen. Aber verzagte auch hier nicht. Als erstes gründete er im Lager aus den zuverlässigsten Genossen ein Widerstandsgruppe. In Birkenau rettete er hundertundachtzig jüdischen Kindern, deren Eltern vergast worden waren, das Leben. Es gelang ihm, Stubenältester zu werden und die Aufsicht über diese Kinder zu bekommen. Er war ihnen ein echter Vatti.

Erich Hoffmann starb an den Folgen seiner Verletzung und seiner Mißhandlung im Alter von dreiundfünfzig Jahren. Er liegt, seinem Wunsch entsprechend, auf dem Ohlsdorfer Friedhof bei den Revolutionsopfern, nah dem Grab seines Freundes Edgar Andrè.