Aus „Oktober“: Militärische Verteidigung der Sowjetunion

Der vorliegende Text von 1930 ist ein Auszug aus einem Artikel der Zeitschrift „Oktober“ (zuvor in „Vom Bürgerkrieg“), einer militärischen Zeitschrift der KPD.


MILITÄRISCHE VERTEIDIGUNG DER SOWJETUNION. VON K.W.

Die Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaftskrise und die politischen Zuspitzungen in einer ganzen Reihe imperialistischer Staaten und Kolonien heben das zentrale Problem der Kriegsgefahr gegen die Sowjetunion immer eindeutiger hervor. Mit aller Schärfe sind die Aufgaben der kommunistischen Parteien auf die Verteidigung der proletarischen Diktatur und der Verhinderung des Krieges durch den Sturz der Bourgeoisie einzustellen. Die Bezirksparteitage in den letzten Wochen haben die ernsthaftesten Anstrengungen gemacht, die strategische Linie und die taktischen Aufgaben der Organisation dementsprechend zu überprüfen und im einzelnen für die zukünftige Weiterarbeit der Bezirke festzulegen…

Unterstützung der Offensive der Roten Armee! Die Notwendigkeit, möglichen Zeitverlust im Aufmarsch zu kompensieren! Können wir dazu etwas tun? Auf jeden Fall, nämlich: Politische Aktionen, Desorganisierung der planmäßigen Mobilmachung durch die Transportstörung, Vernichtung von Lagern und Plätzen, Flugzeugbasen usw., Notwendigkeit, den Kampf im zunächst „neutralen“ Land (Deutschland) aufzunehmen mit dem Ziel: Versorgung, Nachschub usw. für die Front zu verhindern, sogar Partisanenaktionen an polnischer Grenze, von Oberschlesien, Pommern, Ostpreußen, um Kräfte zu binden und gleichzeitig Zersetzung der weißen Armee zu fördern. (Zersetzung bekommt hier schon Charakter wie im Aufstand, d.h. Verbindung von Überzeugung , Nötigung und physischem Kampf. Siehe Lenin über die Lehren des Moskauer Aufstandes.)

Das alles sind nur flüchtige Notizen und können zunächst nichts anderes sein …

5. Die Frage des Aufstandes

Uns allen sind die Voraussetzungen und die Bedingungen eines Aufstandes im marxistischen Sinne des Wortes sehr gut bekannt.

Frage: Schafft der Krieg gegen die Sowjetunion eine Lage, in der wir diese Leninschen Voraussetzungen in entsprechender Form anwenden müssen? Der Bürgerkrieg in Rußland hat uns zahllose Beispiele dieser „Modifikation“ gegeben. Im Krieg sind Aufstände möglich, die

1. örtlich mehr oder weniger begrenzt sind,

2. die zwar alle Elemente der Voraussetzungen zum Aufstand enthalten, aber eben nur Elemente, nicht die Voraussetzungen in ausgereifter und höchster Form …

Der Aufstand hat in diesem Fall gar nicht in erster Linie und unmittelbar das Ziel, die Macht zu erobern. Er desorganisiert den Gegner, zermürbt ihn, greift ihn von hinten an, um ihn in die Zange zu nehmen, zwischen zwei Fronten. Seine Niederschlagung hat nichts Deprimierendes. Man muß mit ihr rechnen. Nicht so, daß man mit ihm spielt, um sein unmittelbares Ziel zu erreichen, muß er unerhört hartnäckig, andauernd durchgeführt werden (um ein taktisches Beispiel zu gebrauchen), wie ein hinhaltender Angriff. Die Rote Armee, der so das Vordringen erleichtert wird, hilft ihrerseits dem aufständischen (oder sogar unterdrückten) Proletariat. In ihrem Rücken geht die systematische „Sowjetisierung“ des Landes vor sich, arbeiten die Revolutionskomitees. Der Bedingung entsprechend werden solche Aufstände die Regel bilden in der nähe der Front und werden, wie gesagt, häufig oft örtlich begrenzt sein. Aufstand im Landesmaßstabe verlangt nicht nur Elemente, sondern ausgereifte Voraussetzungen, wobei „ausgereift“ im dialektischen Prozeß zu verstehen, d.h. der kritische Moment frühzeitig zu benutzen ist. Insbesondere ernsthafte Niederladen der weißen Armee können solche „Momente“ sein. Auch im Hinterland (im „feindlichen“ wie im „neutralen“) haben solche Aufstände Sinn. Bindung, Zersetzung, Vernichtung operativer Reserven; Desorganisation der Etappe, Unterbrechung der Produktion, des Verkehrs im operativ „kritischen“ Moment sind u.a. konkrete Ziele, die solche Aufstände verfolgen können.

6. Putschismus oder leninistische Politik?

Auf den ersten oberflächlichen Blick, bewaffnet mit der Brille der vulgären Phrasen des Kampfes gegen den Krieg, ist das alles Putschismus, radikale Kinderkrankheit, Anarchismus, Spiel mit den revolutionären Energien der Arbeiterklasse.

Wie sieht die Sache in Wirklichkeit aus? Der Krieg gegen die Sowjetunion ist ein Klassenkrieg im internationalen Maßstabe, kein „gewöhnlicher“ Krieg. Es ist ein Krieg, der das Schicksal des revolutionären Proletariats auf lange hinaus entscheidet. Der stärkste Aktivposten ist die Sowjetmacht, ihr militärisches Instrument, die Rote Armee. Wir sind versprengte Teile dieser Roten Armee, die die Operationen der Kampfkräfte mit allen Mitteln, mit allen Opfern unterstützen. Genauso wie, wenn wir Bürgerkrieg in Deutschland haben, und – sagen wir – Bayern in den Händen der Weißen ist, die bayrischen Arbeiter die Pflicht haben, den Angriff der roten Truppen auf Bayern zu unterstützen, durch Unterhöhlung der Kampfkraft der Weißen in ihrem Rücken. So fasse ich wenigstens die Beschlüsse des VI. Weltkongresses in der Frage des Krieges gegen die Sowjetunion auf …

Oktober
Militärpolitisches Mitteilungsblatt
Heft 3/ 1930, S. 1, 6, 7.